Jeder kennt sicherlich die gelegentlichen Erzählungen seiner Mütter oder Großmütter bezüglich der Körperpflege back in the days. Meine Mutter berichtete oft davon, wie sie sich Bier in die Haare schmierten oder nur mit Seife wuschen. Als DDR-Kind mit Plumpsklo bis tief in die Neunziger, Outdoor-Toilette bei Oma und Waschbecken in der Küche als einzige Waschmöglichkeit kenne ich auch noch die Zeiten, als man einmal die Woche duschte und sich mit einem Ministück Seife einschäumte und irgendwie auch nicht den Eindruck hatte, dass man dreckig und stinkig war. Nun gut, diese Zeiten sind lang vorbei und wir sind eingelullt von zahlreichen Werbebeiträgen, die uns suggerieren, mit der nächsten Haarwäsche erfüllen sich alle unsere Träume, wenn wir nur diese gutriechende und chemisch verseuchte Spülung benutzen, dann endlich erhalten wir die Haare, die wir uns immer erträumten und welche uns zu Ruhm, Reichtum und einem besseren Leben verhelfen werden. Ich selber leide seit meiner Pubertät unter extremst fettigen Haaren, die mir meiner bisherigen Meinung nach väterlicherseits in die Wiege gelegt wurden, da mein Vater selbst zwei Mal täglich waschen muss um nicht auszusehen, als hätte ihn eben ein großer Schäferhund abgeschlabbert. Und so wasche und wasche und wasche ich also brav seit nun fast 20 Jahren jeden zweiten Tag meine Haare und jammere über meine bösen Gene. Bis mir dieser Blog ins Auge fällt mit dem Titel “My No Shampoo Story – I went shampoo free and took pictures” (http://fulfilledhomemaking.com/no-poo-shampoo/). Was, wie? Wie, kein Shampoo? Wie soll das denn gehen? Bilder? Will ich sehen. Diese verrückten Hippies, ist mein erster Gedanke. Aber die Bilder beeindrucken mich. Wie diese Dame mit den fetttriefenden Haaren innerhalb von sechs Wochen zur Beautyqueen wird, ist schon irgendwie auch cool. Kann das wirklich gehen? Ich meine, ist es wirklich so – gibt es ein Leben ohne tägliches Haarewaschen? Und wenn ja – wie komme ich dahin? Schaut man sich einmal die heimische Haarwaschverpackung genauer an, wird man sicherlich recht bald auf eine Zutat namens Sulfat-irgendwas oder irgendwas-Sulfat stoßen. Wer weiß eigentlich, was dieses Sulfatzeugs ist? Ich weiß es auch nicht so genau, mein Kurzzeitgedächtnis hat sich die Erklärung von Wikipedia nur für wenige Sekunden gemerkt aber hey, ich habe Chemie nach der 10. Klasse abgewählt. Insofern, fragen wir uns lieber, was macht dieses Sulfat. Also es wäscht die Haare. Und das macht es wirklich. Gründlich. Seeeeeehr gründlich. Im Grunde wäscht es einfach mal alles weg, was da so drauf ist. Und weil das so gut klappt, macht es das mit der Kopfhaut gleich auch noch. Am Ende bleibt also einfach erstmal nichts. Daraufhin verfällt die Kopfhaut in Panik – wo sind denn die ganzen feinen Öle, die ich produziert habe? Die sollen doch die Haare pflegen, geschmeidig machen, hydrieren… (ok, geschmeidige Haare sind sicherlich keine evolutionäre Notwendigkeit sondern erfüllen irgendeinen anderen Zweck, aber egal…) Aber weil alles weg ist, schmeißt die nun völlig hysterische Kopfhaut gleich mal die Produktion an, schnell schnell nachproduzieren, bevor hier noch was kaputt geht. Und dann kommen wir mit der nächsten Haarwäsche, die eine Brachlandschaft hinterlässt, also schnell noch mehr produzieren, bevor hier alles den Bach runter geht…. und schwupps, stecken wir mitten drin im Teufelskreislauf aus waschen und nachfetten und waschen und noch mehr nachfetten. Willkommen in meinem Leben. Die einzige Lösung kann heißen – nie wieder Shampoo. Lass deine Kopfhaut wieder die Arbeit machen, für die sie Kopfhaut wurde. Öle produzieren, welche natürlicherweise dort verbleiben dürfen, wo sie hingehören. Dann wird die Burn-Out-geplagte Kopfhaut zur Reha geschickt, wo sie sich erholen kann und lernt, auf ihre Grenzen zu achten und nur dann zu arbeiten, wenn es auch notwendig ist. Vielen wird bei dem Gedanken an ein Leben ohne Shampoo richtig schlecht vor Angst (wartet, bis ihr den Blogeintrag zum Leben ohne Deo lesen werdet…). So haben wir uns bereits an die Existenz von Pflegeprodukten gewöhnt, dass wir regelrecht melancholisch und leicht depressiv werden bei dem Gedanken, diese wunderbaren hübsch plastikverpackten Dinge nicht mehr benutzen zu dürfen. Heißt das, ich darf nie wieder mit irgendwas meine Haare waschen *örks*? Oh nein, keine Angst. Es gibt tolle Alternativen, welche die Haare reinigen, ohne sie dabei komplett nackig zu machen. Bei meinen Recherchen zu Beginn meines No-Poo Journeys bin ich auf große Anhängergruppen vor allem im englischsprachigen Raum gestoßen, welche mit zahlreichen Ideen und Anregungen dabei helfen können, den Verzicht auf Shampoo so leicht wie möglich zu machen. Trotz allem braucht man vor allem eins – Geduld und Spucke. Ok, eigentlich nur Geduld. Die Umstellung kann dauern, je nach Zustand von Kopfhaut und Haaren bis zu mehreren Monaten.
Folgende Methoden *können* angewendet werden (die Liste ist endlos):
- Für die Hardcore-Liebhaber und Leute mit eher unproblematischen Haaren eignet sich WO – Water only. Dabei wäscht man tatsächlich nur mit Wasser (ja, das geht). Dabei gibt es verschiedene Prozeduren und “Rituale”, welche von den WO-Anhängern empfohlen werden. Die für mich erfolgreichste: die Haare mit möglichst heißem Wasser spülen, dabei mit den Fingern gut schrubben und massieren, danach die Haare mit einer “sauren Rinse” besprühen (1 Esslöffel Essig auf 1 Tasse Wasser) und mit lauwarmem Wasser ausspülen.
- Im englischsprachigen Raum ist vor allem das Waschen mit Natron am meisten verbreitet. Dabei wird 1 Esslöffel Natron (Backsoda!, bitte kein Waschsoda verwenden!) in einer Tasse Wasser aufgelöst, die wässrige Lösung aufs Haar gegeben, gut mit den Fingern einmassieren, ausspülen. Danach muss UNBEDINGT eine saure Rinse verwendet werden (siehe oben) um den ph Wert der Kopfhaut wieder zu neutralisieren. Die Natronmethode klappt in der Regel sehr gut, allerdings wirkt sie auf Dauer sehr austrocknend. Daher muss einmal pro Woche eine Haarmaske verwendet werden, außerdem müssen MINDESTENS 3 Tage zwischen den Wäschen liegen.
- Für die Mutigen – Eier. Ja, mit Eiern kann man Haare waschen. Dazu 2 Eier aufschlagen, durchmischen. Die Pampe auf die Haare auftragen, gut massieren, ausspülen. Beim Ausspülen darauf achten, dass das Wasser nur lauwarm ist, sonst gibt es unter Umständen zum Mittagessen Spiegelei direkt vom Kopf. Mich hats dabei während der gesamten Wäsche gegruselt, aber manche schwören darauf.
- Sind nicht nur zum Waschen da: Waschnüsse. Wenn man Waschnüsse in etwas Wasser aufkocht, erhält man einen Waschnuss-Sud, mit dem man auch Haare waschen kann. Etwas flüssigen Sud über die Haare geben, gut einmassieren, ausspülen, fertig. Macht schön weiche und glänzende Haare, kann aber bei fettigen Haaren zu nicht so guten Ergebnissen führen.
- Haarseife – gibts in Bio- und Naturläden. Zu benutzen wie Shampoo. Bitte niemals Kernseife verwenden! Die macht extrem strohige Haare.
- Mein persönlicher Favorit – Lavaerde. Lavaerde ist Erde aus Marokko, die wegen ihrer reinigenden Eigenschaften seit Jahrhunderten verwendet wird. Zwei bis drei Esslöffel Lavaerde werden in ein bisschen Wasser zu einer dicken Dreckbrühe angemischt. Dann kippt man sich das ganze gut verteilt auf den Kopf und muss dann ordentlich schrubben. Am Ende ausspülen und die Längen mit einer sauren Rinse besprühen und nochmals ausspülen. Wichtig ist, dass man sich auf eine Übergangszeit von mehreren Wochen bis Monaten einstellt, in denen die Haare durchaus auch mal am eher unteren Ende der Gutausseh-Richter-Skala befinden werden.
- Roggenmehl
Außerdem gibt es noch gut gemeinte Tipps der erfahrenen No Poo Gemeinde:
- Haare so wenig wie möglich waschen, mindestens 3 Tage sind auszuhalten!
- mit einer Wildschweinborstenbürste mindestens einmal täglich gut kämmen um die Öle von oben nach unten zu verteilen (und nicht vergessen, gelegentlich die Bürste zu waschen)
- einmal wöchentlich eine Haarmaske anwenden (dazu finden sich zahlreiche “Rezepte” online – Ölmasken, Eimasken, Honigmasken – es gibt nichts, was es nichts gibt… anscheinend kann man sich alle möglichen essbaren Sachen in die Haare schmieren, angefangen bei Apfelmus über Avacado bis hin zu Bananen…)
- ausprobieren, was den eigenen Haaren am besten gefällt
- Nicht aufgeben und vor allem ein dickes Fell bzgl. der Kommentare der erstaunten, produktabhängigen Freunde ignorieren! Viele Wege führen ins Hairvana. Sind wir nicht alle ein bisschen Hippie. In diesem Sinne – viel Erfolg!
Silvie Karen
5 Comments
Universalgenie Natron – test.der-apfelgarten.de
3. Februar 2017 at 18:47[…] Wer von normalem Shampoo weg möchte kann mit Natron auch die Haare waschen. Genaueres findet ihr hier. […]
DIY-Donnerstag: Babyshampoo/Kindershampoo ohne Tränen und Sulfate – Der Apfelgarten
14. Februar 2017 at 11:36[…] einigen LowPoo-Experimenten bin ich auf ein Rezept gestoßen, dass propagiert, Haare mit Roggenmehl zu waschen. Klingt erst mal […]
Shampoo ohne Silikone? Low poo und Shampoo-Alternativen – Der Apfelgarten
16. März 2017 at 13:58[…] Menschen interessieren sich anscheinend für ein Leben ohne Shampoo. Aber manchen scheint das waschen nur mit Wasser Natron oder Lavaerde auf Dauer doch zu heftig oder […]
Sina
1. Mai 2017 at 22:58Hallo Silvie,
das ist eine wirklich schöne Zusammenfassung. Ich selber habe mich auch an das Experiment No Poo gewagt und wasche meine Haare nur mit Wasser. Am Anfang ist es wirklich sehr schwer aber wenn man Monate geschaft hat, dann können sich die Haare sehen lassen. Jetzt bin ich ein bisschen froh, gegen den Strom zu schwimmen und den Beweis zu haben, dass es anders geht als uns immer erzählt wird 🙂 Ich blogge zu dem Thema auf http://www.haare-nur-mit-wasser-waschen.de, falls du einmal vorbeischauen möchtest.
Viele liebe Grüße
Sina
Belinda Antretter
19. Dezember 2017 at 11:23Hallo ich hätte eine Frage 🙂 Du schreibst man sollte regelmäßig (Öl-)Kuren machen, aber womit wäschst du das denn wieder gut aus? Vor allem würde ich das Öl auch gerne in die Kopfhaut einmassieren. Wäre dir über eine Antwort sehr dankbar 🙂
LG Belinda